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Atari VCS 2600



Video Chess 

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Review von Doki Nafaso 


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Das Spiel ist eine technische Großtat und überschreitet im Grunde die Grenzen der Hardware. Dies macht sich auch an einigen Stellen bemerkbar. Im Gegenzug erhält man aber ein voll funktionales Schachprogramm, das einen würdigen Gegner darstellt und in einem speziellen Modus auch Möglichkeiten zum Experimentieren läßt. Die Regeln werden bis auf eine einzige und selten gebrauchte Ausnahme alle umgesetzt.
Abstriche gibt es bei der Steuerung, die wohl besser hätte gestaltet werden können. Das Bildschirmflackern in den Denkpausen ist vielleicht lästig, war systembedingt aber nicht zu vermeiden. Alles in allem handelt es sich um eines der bemerkenswertesten Spiele für den VCS.
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Schach auf dem Atari! |
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Konfigurationsmodus |
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Fast alle Regeln umgesetzt |
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Steuerung etwas hakelig |
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Keine freie Umwandlung des Bauern |
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Bildschirmflackern (unvermeidlich) |
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Veröffentlicht am 04.07.2002 23:56, dieser Review wurde 281x gelesen.
Der Traum, einem Computer das Schachspielen beizubringen, ist älter als der Computer selbst. Berühmt wurde etwa ein falscher Schachautomat aus dem Jahre 1769, der unter seinem Gewirr von Zahnrädern lediglich einen kleinwüchsigen menschlichen Schachspieler verbergen konnte. Gegen diesen sogenannten "Türken" haben mehrere Persönlichkeiten der Zeitgeschichte den Kürzeren gezogen, immer in dem naiven Glauben, es mit einer schachspielenden Maschine zu tun zu haben.
1840 dachte Charles Babbage darüber nach, wie man eine Maschine, die damals noch gar nicht gebaut werden konnte, am besten zum Schachspielen bringen könnte. Und 1869 baute Torres y Quevedo tatsächlich aus mechanischen Teilen eine Maschine, die immerhin mit König und Turm einen gegnerischen König matt setzen konnte.
Bei diesem offenbar uralten Drang der Menschheit kann es nicht verwundern, daß auch der Atari VCS eines Tages das Schachspielen erlernen sollte. Dies kam, wie einst der "Türke", beinahe einem Schurkenstück gleich: Denn Schach auf dem Atari VCS mußte zunächst jedem vernünftigen Menschen unmöglich erscheinen.
Ein paar Worte zur Technik.
Der Atari VCS 2600 hat keinen Grafikspeicher. Man kann daher nicht das gesamte Spielfeld irgendwo definieren und dann von einem Grafikchip automatisch darstellen lassen. Stattdessen wird jeder einzelne Bildschirm immer wieder on-the-fly erzeugt, indem der Prozessor im genau richtigen Moment die Grafikdaten für eine Zeile übergibt. Der Prozessor ist daher stets gefordert, das Bild aufrecht zu erhalten, auch wenn sich dieses um keinen Deut ändert.
Bei einem Schachspiel kommen spezielle Schwierigkeiten hinzu: Der Atari VCS kann insgesamt nur zwei Figuren mit ausreichender Auflösung, sogenannte "Players" definieren. In einem Schachspiel gibt es aber nun einmal 32 Figuren.
Durch das Ansprechen bestimmter Register des Grafikchips kann allerdings ein Player bis zu dreimal pro Zeile dargestellt werden. Von diesem Prinzip hatte bereits das Spiel "Space Invaders" 1980 Gebrauch gemacht, das damals mit einer nicht für möglich gehaltenen Figurenfülle aufwartete. Der Trick war hier, daß gleich beide Player für die Darstellung der Angreiferformation eingesetzt wurden, was inklusive Dupliktion jeweils 6 Figuren pro Zeile ermöglichte.
Beim Schach stehen aber nun einmal bis zu acht Figuren nebeneinander, und sie sehen auch nicht alle gleich aus, sondern im schlimmsten Fall alle unterschiedlich. Für beide Probleme fand man aber eine Lösung: Man kann, kurz nachdem man einen Player gezeichnet hat, die Grafikdaten dieses Players umdefinieren, so daß beim vermeintlichen Duplizieren tatsächlich eine andere Figur gezeichnet wird. Dies kostet allerdings Zeit, die man normalerweise nicht hat.
Als zweite Maßnahme wurden die Figuren nicht vollständig gezeichnet, sondern nur abwechselnd mit jeder zweiten Zeile! Wenn man sie dann vertikal um eine Zeile gegeneinander versetzt werden, erhält man scheinbar acht Figuren nebeneinander. Das Ergebnis ist das typisch gestreifte Aussehen aller Schach-Figuren in "Video Chess". Die Technik des abwechselnden Zeichnens halber Figuren ging als "Venetian Blinds" in die Geschichte der VCS-2600-Programmierung ein. Sie war schon vorher verwendet worden, zum Beispiel wiederum in "Space Invaders" für die Score-Anzeige, aber nirgendwo wurde sie so vehement eingesetzt wie in "Video Chess".
Das Zeitproblem wurde schon angesprochen. Tatsächlich nimmt der Atari VCS keinerlei Schachberechnungen vor, solange das Bild gezeichnet wird. Er ist ganz und gar damit beschäftigt, seine Figuren abwechselnd zu zeichnen und mehrfach pro Bildschirm umzudefinieren. Die Entwickler haben aber noch an einer weiteren Stelle Zeit gespart: Das Spielfeld ist zu klein. Es wird nämlich nur eines von zwei Spielfeld-Registern bedient. Dieses Register nimmt die Daten für dreieinhalb Felder des Schachbrettes auf, die dann gespiegelt werden (diese Option bietet der Atari hardwaremäßig an). So ergeben sich 7 Schachbrettfelder, das achte muß also wohl herbeigezaubert werden.
Dazu dient ein weiterer Trick: Die gesamte Spalte "A" des Spielbretts wird mit Hilfe des "Balles" erzeugt - einer groben Grafikstruktur, die der Atari VCS zur Verfügung stellt und die ursprünglich für Spiele wie Pong gedacht war. Bei weißen Feldern wird der Ball eingeblendet, bei schwarzen wieder ausgeblendet. Das Schachbrett nimmt dann automatisch die Hintergrundfarbe an. Dies ist auch der Grund, weshalb in der Spielegrafik Hintergrund und "schwarze" Felder die gleiche Farbe besitzen, nämlich dunkelblau. So entsteht eine scheinbare Erweiterung des Spielfeldes nach links.
Durch dieses Bündel von Maßnahmen konnte man tatsächlich erreichen, was vorher keiner vermutet hatte: Daß der Atari VCS überhaupt ein komplettes Schachfeld darstellen kann. Nun mußte er nur noch spielen lernen.
Das Spiel beginnt.
Nach dem Einschalten des Atari begrüßt einen ein voll voll aufgebautes Schachfeld. Mit dem rechten Difficulty Switch kann man nun die eigene Farbe (schwarz oder weiß) wählen, mit dem Game Select Switch den Schwierigkeitsgrad (1-8). Voreingestellt ist Weiß für den menschlichen Spieler bei Schwierigkeitsstufe 1. Der Atari ist hier durchaus kein schlechter Gegner, sollte aber von einem engagierten Hobbyspieler in der Regel geschlagen werden können. Vorsicht: Level 8 ist nicht etwa der anspruchvollste, sondern im Gegenteil ein besonderer "Idioten-Level" mit besonders knapper Bedenkzeit für den Computer. Diese Bedenkzeit wird bei Level 1 auf 15 Sekunden limitiert, bei Level 5 auf drei Minuten, und bei Level 7 auf zwölf Stunden (!).
Die schwarzen Spielfiguren sind eher rot. In der Spielfeldmitte findet sich ein kreuzförmiger Cursor (in der Farbe des Computerspielers), mit dem man nun seine Züge auswählt. Die Spielfigur wird dazu mit dem Cursor durch einen Klick auf den Button markiert und fängt an zu blinken. Die blinkende Figur setzt man auf dem gewünschten Zielfeld ab und bestätigt diesen Wunsch durch nochmaliges Klicken. Die Steuerung ist insgesamt ein wenig umständlich und leidet manchmal zusätzlich an etwas verzögerten Reaktionen des Cursors, insgesamt ist das Verfahren aber durchaus brauchbar.
Illegale Züge werden mit einem Signalton quittiert und nicht ausgeführt. Ist der Zug legal, weicht der Bildschirm vorübergehend einem chaotischen Flackern. Der Grund ist klar: Der Atari muß nun Schachzüge berechnen und hat schlichtweg keine Zeit mehr, sich um den Bildaufbau zu kümmern. Er blendet lediglich noch die Spielfiguren aus und verändert die Hintergrundfarben. Der Bildschirm erscheint wieder, nachdem der Gegenzug ausgeführt wurde. Die gerade bewegte Figur wird dabei wieder durch ein Blinken gekennzeichnet, bis der Cursor wieder neu bewegt wird.
Die Rochade wird korrekt durchgeführt, wenn der König zwei Felder in die entsprechende Richtung gezogen wird und die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch eine Bauernumwandlung findet statt, die Zielfigur kann allerdings nicht frei gewählt werden: Der Bauer wird immer zur Dame. Dies ist in der Regel natürlich auch die beste Variante, aber es gibt auch Situationen, in denen man sich eher einen Springer wünschen würde. Die Bauern beherrschen auch das Schlagen en-passant. Damit sind meines Wissens alle gültigen Schachregeln bis auf die freie Umwandlung des Grundlinien-Bauers berücksichtigt. Besondere Turnierregeln, wie das automatische Patt nach einer bestimmten Anzahl von Zug-Wiederholungen, finden aber keine Anwendung.
Ein Schach wird angezeigt, indem sich der bedrohte König vorübergehend auf den Kopf stellt. Die Figur, die ihn bedroht, blinkt. Außerdem wird ein Signalton erzeugt. Bei Schachmatt wird die Königsfigur, nun endgültig kopfüber gedreht, am oberen Bildschirmrand eingeblendet. Herzlichen Glückwunsch!
Der Konfigurationsmodus
Aber "Video Chess" kann noch mehr. Außer dem normalen Spielmodus kann mit dem rechten Difficulty Switch (Position "A") auch noch ein Konfigurationsmodus eingestellt werden, in dem das Spielfeld frei mit Figuren besetzt werden kann. Das Prinzip ist immer das Gleiche: Man bewegt den Cursor auf ein Feld und kann dort nun eine beliebige Figur plazieren, indem man so lange mit dem Button weiterschaltet, bis man die passende Figur gefunden hat. Dann verläßt man mit dem Cursor das Feld. Sind alle Figuren durchgeschaltet, erscheint ein leeres Feld. Damit läßt sich eine Figur, die vorher da war, vom Feld nehmen. Durch ein erneutes Umstellen des rechten Difficulty Switch (auf "B") läßt sich die so erzielte Aufstellung in den Spielmodus übertragen, um damit das Spiel fortzusetzen.
Sound
Zum Sound gibt es bei diesem Spiel nicht viel zu sagen. Es gibt die durchaus sinnvollen, tiefen Signaltöne bei Schach und Schachmatt. Außerdem gibt der Cursor ein leicht schürfendes Geräusch von sich, wenn man ihn bewegt. Alles in allem eine passende und funktionale Untermalung.
Anekdoten
Um dieses ungewöhnliche Spiel ranken sich ungewöhnliche Geschichten. Angeblich soll Atari verpflichtet gewesen sein, ein Schachspiel für den VCS anzubieten, weil auf einer frühen Version der Konsole eine Schachfigur abgebildet war. So habe man sich an die Programmierung gemacht, die ursprünglich gar nicht geplant war.
Sicher ist indessen nur eines: Es galt zunächst als unmöglich, die gesamte Programmintelligenz in nur 4 KByte Code unterzubringen (der Standardgröße eines Atari-VCS-Moduls). Deshalb erfand Atari das Bankswitching für den VCS, das es ermöglichte, 6 KByte in einem Modul unterzubringen, von denen jeweils 4 KByte gleichzeitig genutzt werden konnten. Aber nachdem diese Lösung fertig war, setzte sich der Entwickler Larry Wagner an den Code und schaffte es, ihn doch noch auf 4 KByte zu reduzieren. So wurde das Bankswitching für ein Spiel erfunden, das davon niemals Gebrauch machte.
Danksagung und Referenzen
Die technischen Informationen zu diesem Spiel stammen aus dem Stella's Programmers Guide, der Stella-Mailingliste und der Zeitschrift IEEE Spectrum (März 1983).
Ein Wort zur Wertung
Ich habe nach Diskussionen im Forum mein System umgestellt. Die Wertungen werden jetzt *Konsolen-gerecht* vergeben, d.h. die besten Titel für eine Konsole erhalten auch sehr hohe Wertungen.

Review-Score 5000


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mopan am 01.01.2003 23:11
Jägermeister bringt es auf dem Punkt!

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argor am 01.01.2003 19:17
Perfekte Erläuterung der technischen Schwierigkeiten.... gabs da nicht noch ein zweites Schach (Prototype von Bushnell) ?

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Jägermeister1.0 am 06.07.2002 13:18
Schach interessiert mich nicht. Atari hab' ich keinen. Programmieren: keinen blassen Dunst. Trotzdem hat mich das Review heftigst begeistert, da man merkt, dass sich hier jemand viel Mühe gegeben hat. Gratulation!

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Yeboah17  am 05.07.2002 13:46
Extrem cremig - volle Kanne, Hoschi! ;-)

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dixip am 05.07.2002 12:30
Deine Technikausführungen sind genial. Gerade weil ich die Zeit nicht bewußt mitgemacht habe, bekomme ich hier soviele Infos zu den Schwierigkeiten der Programmierer dieser Spiele, dass mich das Spiel eigentlich nur noch am Rande interessiert. Trotzdem wird das Spiel von Dir aber auch noch in aller Ausführlichkeit und Genauigkeit beschrieben. Wirklich hervorragend.

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::: Wertungsrichtlinien ::: |
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91% - 100% Referenz
81% - 90% Spitzenklasse
71% - 80% sehr gut
61% - 70% gut
51% - 60% durchschnittlich
41% - 50% unterdurchschnittlich
31% - 40% schlecht
21% - 30% sehr schlecht
11% - 20% miserabel
1% - 10% Aaargh
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